Lieferando macht’s vor: Was Unternehmen über freie Dienstverträge wissen sollten
Die jüngste Entscheidung des Lieferdienstes Lieferando, alle festangestellten Fahrer:innen zu kündigen und stattdessen auf freie Dienstverträge umzustellen, hat für viel Aufsehen gesorgt – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Wirtschaftswelt. Der zugrundeliegende Artikel im Standard beleuchtet die Umstellung der gesamten Logistikstruktur. Zum Artikel.
Das wirft für viele Unternehmen eine zentrale Frage auf: Welche Vorteile bringt die Umstellung auf freie Dienstverhältnisse – und wo lauern rechtliche Fallstricke?
Genau mit diesen Überlegungen sah sich auch ein großes Wiener Montageunternehmen konfrontiert. Gemeinsam mit einer Rechtsberatung wurden folgende zentrale Aspekte analysiert:
Befristete Arbeitsverhältnisse – Spiel mit dem Feuer?
Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Umstellung auf befristete Arbeitsverhältnisse sinnvoll ist. Dabei sind sogenannte Kettenarbeitsverträge ein heißes Eisen:
Die Gesetzeslage ist klar – Kettenverträge sind grundsätzlich unzulässig, sofern keine objektiv nachvollziehbaren Gründe vorliegen. Saisonarbeit etwa kann ein solcher Grund sein, nicht aber allgemeine Unsicherheit über Auftragslage oder Konjunktur.
Das Risiko? Eine rückwirkende Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis – mit allen arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Die Schwelle ist niedrig: Schon bei einer einmaligen Verlängerung kann ein einheitliches Arbeitsverhältnis angenommen werden.
Schlüssel zur Risikominimierung: Ein sorgfältig konzipiertes Vertragsdesign, das den tatsächlichen organisatorischen Gegebenheiten entspricht. Denn auch perfekte Formulierungen helfen nicht, wenn die Realität anders aussieht – z.B. wenn über längere Zeit ähnliche Tätigkeiten in gleicher Weise verrichtet werden.
Freie Dienstverträge – das flexiblere Modell?
Freie Dienstverträge bieten auf den ersten Blick erhebliche Vorteile:
- Keine Bindung an Kollektivverträge oder arbeitsrechtliche Schutzgesetze wie das Arbeitszeitgesetz oder Urlaubsgesetz.
- Kettenverträge sind hier ausdrücklich erlaubt.
- Geringere Arbeitgeberpflichten, da freie Dienstnehmer nicht als klassisch sozial schutzbedürftig gelten.
Doch diese Flexibilität kommt mit einem Haken: Die Grenze zur Scheinselbstständigkeit ist fließend. Wird der freie Dienstvertrag nur zum Schein abgeschlossen, droht eine behördliche Umqualifizierung – etwa im Rahmen einer GPLA-Prüfung (gemeinsame Prüfung durch Finanz, Sozialversicherung und Arbeitsinspektorat).
Typische Merkmale eines freien Dienstverhältnisses:
- Keine persönliche Abhängigkeit (z. B. keine fixen Arbeitszeiten, keine umfassende Weisungsbindung)
- Kein umfassendes Eingegliedertsein in den Betrieb
- Selbstständige Organisation der Tätigkeit durch den Dienstnehmer
- Vergütung nach geleisteter Zeit, nicht pauschal monatlich
Achtung: Auch wenn Arbeitsmittel gestellt werden oder eine gewisse Eingliederung besteht, ist eine saubere vertragliche und tatsächliche Trennung essenziell.
Werkverträge und weitere Modelle – lohnt sich der Aufwand?
Eine Alternative wäre der Abschluss von Werkverträgen. In der Praxis sind diese allerdings schwer umzusetzen, da sie auf konkrete Erfolgsergebnisse und unternehmerisches Risiko des Auftragnehmers abzielen.
Zudem erfordern sie oft eine komplexe Unternehmensstruktur, da Werkverträge rechtlich eigenständige Auftragnehmer voraussetzen. Für klassische interne Aufgaben sind sie daher meist nicht praktikabel.
Fazit: Rechtssicherheit vor Flexibilität
Die Entscheidung, von klassischen Arbeitsverhältnissen auf freie Dienstverträge oder andere Modelle umzustellen, sollte wohlüberlegt und individuell angepasst sein. Vermeintlich einfache Lösungen bergen oft erhebliche rechtliche Risiken.
Wer wie Lieferando auf freie Dienstverträge setzt, muss sicherstellen, dass diese auch in der Praxis den gesetzlichen Anforderungen entsprechen – andernfalls drohen hohe Nachzahlungen und ein Imageverlust.Empfehlung für Unternehmen:
Lassen Sie arbeitsrechtliche Strukturen regelmäßig prüfen und setzen Sie auf ein maßgeschneidertes Vertragsdesign, das betriebliche Realität und rechtliche Anforderungen in Einklang bringt.